Lieber Herr Kast, Sie begehen in diesem Monat Ihr 35-jähriges Jubiläum. Wir danken Ihnen für Ihre langjährige Mitgliedschaft und gratulieren Ihnen zunächst recht herzlich. Vielen Dank, dass Sie uns zu diesem schönen Anlass zu einem Interview bereit stehen.
TVIU: Welche persönlichen Beweggründe oder prägenden Momente haben Sie dazu bewogen, sich dem Kartografieren und der geografischen Darstellung unserer Region zu widmen, und was motiviert Sie auch nach 35 Jahren weiterhin an dieser Aufgabe?
Herr Kast: 1963 habe ich in Leipzig, meinem Geburtsort, eine erste Landkarte für einen Freizeitkapitän bearbeitet. Eine Wasserwanderkarte, die den Raum vom Plauer See bis hin zum Kleinseengebiet bei Rheinsberg zeigte. Die Auseinandersetzung mit dem Naturraum, dem Gewässernetz, den Siedlungen und den verbindenden Verkehrswegen prägte meine Begeisterung an der Darstellung von Landesteilen in Landkarten.
Nachdem ich 1970 die Ausbildung zum Kartographen im Landkartenverlag Berlin/Leipzig startete, danach im Verlag viele touristische Karten bearbeitete und 1978 bis 1983 das Studium der Kartographie in Dresden absolvierte, waren neben Begeisterung auch all die Fähigkeiten und Fertigkeiten ausgeprägt, die es zu beherrschen gilt, will man gute und für den Betrachter nicht nur schöne, sondern auch exakte und in sich schlüssige Landkarten bearbeiten.
Nach dem Umzug nach Wismar im Jahr 1976 (aus Wismar stammt meine Ehefrau) war ich kartographisch in der Abteilung Kartographie im Landesvermessungsamt Schwerin tätig. Obwohl die topographische Kartographie keine kartengestalterischen Ausflüge gestattete, vertiefte sie die Grundsätze solider kartographischer Arbeit.
Ende 1989 eröffneten sich in der Kartographie ganz neue Möglichkeiten, die dazu führten, dass ich am 01.12.1990 mein Ingenieurbüro für Kartographie gründete und kurze Zeit später mein Ziel, ein Landkartenprogramm für Mecklenburg-Vorpommern mit eigener naturnaher Gestaltung herauszugeben, in Angriff nahm. Seitdem ist mein Verlag, die Nordland Kartenverlag GmbH, im Lande aktiv. Anfangs mit bis zu 12 kartographischen Mitarbeitern, heute sind wir in der Herstellung zu dritt.
Seit etwa 10 Jahren konzentriert sich das Verlagsprogramm auf die Ostseeküste – von der Insel Fehmarn bis hin zur Insel Wollin. 27 veröffentlichte Landkarten und ein großer Kartenfundus darüber hinaus machen heute den Wert des Verlages aus.
Im Laufe der Jahre entstanden gute Beziehungen zu den dargestellten Regionen, die sehr wichtig sind, da es bei Neuauflagen von Karten all das zu berücksichtigen gilt, was es in den Regionen an Veränderungen und Entwicklungen gab. Das betrifft den touristischen Bereich, aber auch Entwicklungen der Siedlungen, der Verkehrsinfrastruktur, des Naturraums usw. usf.
Dazu ist ein regelmäßiger Austausch mit Verbänden, Kurverwaltungen, touristischen Unter-nehmen, Stadt- und Kreisverwaltungen – neben eigenen Recherchen – erste Wahl.
Dieses Miteinander, im Interesse einer aktuellen und bestmöglichen Darstellung eines Naturraumes, einer touristischen Destination oder auch von Ortslagen klappt mit der UTG, dem Tourismusverband der Insel Usedom und den Kurverwaltungen der Ostseebäder auf der Insel Usedom hervorragend gut.
Das schreibe ich nicht, weil ich mich im Rahmen eines Interviews des Tourismusverbandes der Insel Usedom äußere, sondern weil dieses Miteinander seit drei Jahrzehnten stabil ist, unabhängig von personellen Veränderungen bei unseren Partnern auf der Insel.
Diese erfreuliche Situation ist Motivation genug, um auch weiterhin unsere Titel zur Insel Usedom kartographisch zu pflegen (vielleicht noch um eine Karte zu erweitern) und deutschlandweit im Buchhandel und bei vielen Kunden auf der Insel anzubieten.
Meine Tochter, die seit 25 Jahren im Verlag tätig ist, wird irgendwann einmal die Zusammenarbeit in gewohnter Weise fortführen.
TVIU: Welche Herausforderungen und Meilensteine haben Sie persönlich und das Verlagsteam im Laufe der Jahre erlebt, wenn es darum ging, ein anspruchsvolles, detailliertes Kartenprogramm für Mecklenburg-Vorpommern beständig weiterzuentwickeln?
Herr Kast: Ich versuche mich jetzt etwas kürzer zu fassen.
Die wohl größte Herausforderung bestand in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre darin, unsere zu diesem Zeitpunkt bereits veröffentlichten Karten, die mit den Möglichkeiten der konventionellen Kartographie auf dem Wege der Gravur, der Montage, der Farbdeckerherstellung bearbeitet wurden und mit sehr umfangreichen reprotechnischen Arbeiten verbunden waren, ein zweites Mal – nun komplett digital – zu bearbeiten. Das betraf 10 Karten im Maßstab 1 : 75 000, die nahezu das gesamte Land bedeckten.
Parallel zu diesem kostenseitig sehr schmerzhaften Umbau der Verlags-Kartensubstanzen, der 2003 abgeschlossen war, bildeten sich in der digitalen Bearbeitung Routinen aus, die es fortan leicht machten, recht schnell neue Kartentitel zu entwickeln. „Usedom mit Ortsplänen“ im Maßstab 1 : 50.000 war im Jahr 2000 einer der ersten Titel dieser neuen Generation.
Es ist schon beeindruckend, welche Möglichkeiten der Informationsbeschaffung heute gegeben sind, um Karten konzipieren, bearbeiten oder fortführen zu können. Digitale Daten, wie zum Beispiel Satellitenbilder, ESA-Daten, Google Earth, auch OpenStreetMap, amtliche Karten und Bebauungspläne bilden in ihrer Gesamtheit dafür (richtig bewertet und eingesetzt) die Grundlagen.
Diese Möglichkeiten sind es, die heute Tag für Tag in die kartographische Verlagsarbeit einfließen und beste Grundlagen für die Pflege und stetige Verbesserung des Landkartenbestandes, aber auch für diverse neue Veröffentlichungen, wie zum Beispiel für Schulen und andere spezielle Nutzergruppen bilden.
TVIU: Inwieweit haben technologische Entwicklungen wie die Digitalisierung die Produktion traditioneller Printkarten beeinflusst — und wie erleben Sie die Nutzung klassischer Kartenwerke im Zeitalter digitaler Navigation?
Herr Kast: Wie zuvor schon angesprochen, fließen technologische Entwicklungen wie zum Beispiel die Möglichkeiten der Digitalisierung, in den Herstellungsprozess der traditionellen Printkarten ein. Die moderne Kartographie ist heute zu 100% im Herstellungsprozess digital. Die Ergebnisse werden in gedruckter Form veröffentlicht, können auch digital zur Verfügung gestellt werden.
Insofern stellt sich die Frage, ob der Begriff der „Digitalisierung“ reduziert werden kann auf mobile Kartenanwendungen auf Smartphones und anderen digitalen Endgeräten.
Zu beobachten ist lediglich eine Zweiteilung der Kartennutzer. Übertrieben formuliert hat die eine Nutzergruppe (nicht nur alte Landkartenfreunde) Überblick und Weitsicht, die andere Nutzergruppe ein Smartphone vor Augen (Vorsicht! Wurzel auf dem Weg), um ein Ziel zu erreichen.
Es ist nach meiner Meinung leider so, dass die alleinige Nutzung digitaler Endgeräte das Erleben eines Landstrichs, Beobachtungen auf Touren und damit wohl auch den Erholungswert einschränkt und den Orientierungssinn verkümmern lässt. Das Ziel einer Unternehmung ist nicht mehr der Weg mit seinen Reizen, sondern ein Punkt, der – je schneller gefunden – die Strapazen des Weges leichter vergessen lässt.
Ich habe selbst Erfahrungen mit meinem Smartphone sammeln können, als ich in einem dichten unbekannten Waldgebiet relativ orientierungslos war. Da hat sich eine digitale Karte auf dem Smartphone bewährt. Ich konnte meinen Standpunkt und die richtige Richtung des Weges erkennen und am Ende zum Ziel gelangen.
Es ist die Kombination von drei wesentlichen Funktionen der Landkarten, die den Wert derselben ausmachen. 1. Die Planung von Urlaubszielen und Unternehmungen; 2. die Aktivität vor Ort; 3. der Austausch im Nachgang zum Urlaubsaufenthalt mit Freunden oder Bekannten.
Während für die Punkte 1.und 3. einer gedruckten Landkarte der Vorzug zu geben ist, da sie einen Überblick über den Raum bietet und auch mehreren Betrachtern ein und dieselbe Situation zeigt, ist für Punkt 2 die Kombination von Karte und Smartphone optimal. Dort wo es unübersichtlich wird, gern das Smartphone zur Hilfe nehmen, ansonsten mit Hilfe der Karte markante Orte auf dem gewählten Tourenverlauf einprägen und hin und wieder einmal prüfen, ob man noch auf dem richtigen Weg ist.
Die gedruckte Landkarte, seit Jahren totgesagt, wird auch weiterhin – leider nicht in dem Maße wie vor 30 Jahren – ihren Platz auf Radtaschen und in Rucksäcken haben und guter Begleiter auf Touren sein. Und sei es zuweilen auch nur dann, wenn das Smartphone kein Netz hat oder der Akku leer ist.
TVIU: Wie haben sich Inhalte, Gestaltung und Nachfrage der Wander- und Radwanderkarten des Nordland Kartenverlags in den letzten 35 Jahren verändert — insbesondere mit Blick auf die Ostseeküste und von Usedom?
Herr Kast: Landkarten haben immer die Aufgabe, die für ihr Thema interessanten und wichtigen Inhalte in gut lesbarer Form zu zeigen und zu erklären. Mit der Entwicklung von Räumen und gesellschaftlichen Bedürfnissen gehen Veränderungen einher, die auch neue Karteninhalte zur Folge haben.
War zum Beispiel 1990 die Darstellung von Telefonzellen in Stadtkarten ein unverzichtbares Inhaltselement, so sind es heute Informationen zu Kurkartenautomaten, zu behinderten- gerechten Einrichtungen oder aber auch Inhalte, die interessante Sport- oder Naturerlebnis-möglichkeiten zeigen, die es so vor Jahren noch nicht gab.
Darüber hinaus ist die Verkehrsinfrastruktur (Ortsumgehung Wolgast in Bau, Swinetunnel usw.) oder auch die Siedlungsentwicklung (neue Wohn- oder auch Gewerbegebiete) permanent Gegenstand der inhaltlichen Überarbeitung.
In der Regel wird jeder Kartentitel aller 2 bis 3 Jahre aktualisiert – in Abstimmung mit den Partnern auf der Insel.
Bei allen Veränderungen inhaltlicher Details gilt es, das Verlagskartenbild, welches durch seine charakteristische Darstellung auch urheberrechtlich geschützt ist, zu erhalten.
Auch wenn die digitale Aktualisierung der Karten mit weniger Aufwand möglich ist als vor 30 Jahren, so ist das Verhältnis Aufwand zu Ertrag – bedingt durch einen Rückgang der Verkäufe in den letzten 35 Jahren – nicht befriedigend, aber noch erträglich.
Diese Aussage bezieht sich auf das Gesamtprogramm. Erfreulich ist, dass auf den Inseln Usedom und Rügen sowie auf der Halbinsel Fischland-Darß-Zingst die Verkäufe in den letzten fünf Jahren recht stabil waren. Entlang der mecklenburgischen Ostseeküste sind die Verkäufe leider leicht rückläufig.
Ich wünsche mir, dass die gute Zusammenarbeit mit unseren Partnern und Kunden auf der Insel Usedom noch viele Jahre fortbesteht und bedanke mich für die Möglichkeit, einige Etappen der Entwicklung meines Verlages im Rahmen dieses Interviews darlegen zu können.
TVIU: Wir danken Ihnen recht herzlich für die Beantwortung der Fragen und wünschen Ihnen eine schöne Weihnachtszeit und weiterhin viel Erfolg mit Ihrem Verlag.
Herr Kast: Vielen Dank für die guten Wünsche, die ich sehr gern erwidere. Alles Gute!